Nun gilts ernst. Der private Auffrischkurs für Französisch ist durchgeackert: Man weiss wieder, wie ein accent aigu (= é, ausgesprochen aksãtegy) funktioniert, man kann wieder auf ausländisch bis zehn zählen (und muss damit nicht einfach das offene Portemonnaie fürs Bezahlen der Zeche hinhalten) und man erkennt das „Bohnschuur“ wieder als Gutenmorgengruss (auch wenn es schon Nachmittag ist). Und weshalb das alles? Nun, die diesjährige Männerriegen-Wanderung führt uns eben in die Suisse Romande, und da will man doch bei allen fremdländisch klingenden Gesprächen dabeisein inklusive richtiger Aussprache so komplizierter Ortsnamen wie Les Hauts-Geneveys oder La Sagne-Eglise (nein, hat nichts mit Lasagne zu tun was eine Teigware italienischen Ursprungs ist).
Wir beginnen wie immer, aber vielleicht aus baulichen Gründen das letzte Mal, an unserem vertrauten alten Bahnhof, wo Ruedi Fischer (Organisator, Reisebegleiter, Präsi, Fragenanlaufstelle und Ruhepol in Personalunion) bei der Begrüssung jeden mit der richtigen SBB-Kontrollmarke versieht. Zürich und Aarau sind weitere Teilnehmeraufnahmestellen, bis wir mit 15 Rieglern komplett sind. In La Chaux-De-Fonds steigen wir aufs Postauto um, das uns bis zur Auberge de la “Maison-Monsieur“ bringt, einem ehemaligen Zollhaus am Doubs, dessen Ursprung bis 1545 zurückgeht und das heute unter anderem auch ein Restaurant beherbergt. Hier treffen wir auf Männerriegler aus Kriegstetten, die wir bis zum Ende der Reise kaum mehr aus den Augen verlieren sollten.
Gestärkt an Körper und Geist beginnen wir unsere Wanderung entlang dem Doubs, der zuerst einmal so breit ist und so langsam entgegenfliesst, dass er eher als schmaler See denn als Fluss zu erkennen ist. Die Gegend ist wunderschön, wie in einem verwunschenen Märchen. Spiegelglattes Wasser, Ruhe, viel Moos an den Bäumen, umgestürzte, vermodernde Bäume, das Spiel von Licht und Schatten, die reine Luft und die Fülle der teilweise schon herbstlichen Farben lässt keinen unberührt.
Die Buvette des Graviers (Besenbeiz) erreichen wir nach knapp anderthalb Stunden. Wer will, kann hier seine mitgebrachte Wurst grillieren. Die beiden Feuermeister Fischer und Mielemann sorgen für die geeignete Glut. Es gibt ausser Getränken auch Suppe zu kaufen. Für en halbe Schnägg gibt es einen Teller voll der in der Westschweiz berühmten “Soupe aux pois“, einer speziellen Erbsensuppe mit Teilen vom Schwein, die während vieler Stunden nur ausgekocht, nicht aber gegessen werden. Die Sonnenstrahlen erreichen uns nicht, auch wenn sie sich ununterbrochen Mühe geben. Das ist topografisch bedingt, schliesslich befinden wir uns in einer Schlucht.
Einige Zeit nach den Kriegstettlern machen auch wir uns wieder auf den Weg, der genau gleich schön ist wie vorher. Nach einem kurzen Zwischenhalt am Saut de Doubs, einem eindrücklichen Wasserfall, geht die Wanderung weiter. Immer mal wieder haben wir Gegenverkehr, seien es Biker oder Wanderer, die am anderen Ende angefangen haben.
Da befindet sich doch schon wieder ein Besenbeizli am Wegrand, das man unmöglich auslassen kann. Der sympathische Betreiber schenkt Süssmost oder Bier aus und ist gerne bereit, die gestellten Fragen über seine Person zu beantworten. Währenddessen rumpelt es plötzlich etwas weiter oben, ein Stein fällt aufs Blechdach und trifft anschliessend Francesco leicht am Rücken. Glück gehabt, dass der Brocken nicht grösser war.
Am Lac de Brenets steigen wir ins Schiff für eine kurze Fahrt zum gleichnamigen Dorf. Es ist gerade die richtige Zeit, einen Apéro auszuschenken, gespendet von Karl Pfister und Felix Mielebacher. Nun wird ihr Rucksack endlich etwas leichter. Von der Anlegestelle weg ist noch eine Hochgebirgstour zu bewältigen, denn der 20-minütige Aufstieg zum Bahnhof ist happig steil. Wie kann man auch einen Bahnhof so hoch oben bauen! Es ist nur eine kurze Fahrt bis Le Locle, wo wir umgehend unser Logis beziehen. Viel Zeit bleibt nicht zum Duschen und Ausruhen, denn es bleibt nur eine knappe halbe Stunde bis zum Abendessen.
Die Frage nach dem Essen ist, was jetzt? Jassen, singen und Sprüche klopfen in einer Hotel-Lounge ist nicht gerade das Gelbe vom Ei. Also suchen wir das Nachtleben von Le Locle. So richtig fündig werden wir nicht, aber immerhin treffen wir doch noch auf ein Lokal, in dem wir etwas zum Trinken bekommen und miteinander plaudern können, wenn auch mit verstärkter Stimme wegen des Lärmpegels. Die meisten der Höckler sind so um Mitternacht zurück an der Stätte des Schlafes, die drei letzten Mohikaner erst so um 2 Uhr.
Vor halb acht Uhr am Morgen wetzt die quirlige Sandra schon wieder umher, flink, unermüdlich, aufgestellt. Von der Rezeption über den Küchendienst bis zum Service macht sie so ziemlich alles, was in einem Hotel so an Arbeit anfällt. Pünktlich um zehn nach acht stehen wir an der Haltestelle des Postautos bereit – einmal mehr treffen wir wieder auf die Mannen aus Kriegstetten.
Die Fahrt am (relativ) frühen Morgen ist ein Erlebnis besonderer Art. Da wir uns in der kältesten Gegend der Schweiz befinden, nahe von La Brévine, sind auch im Sommer die Morgentemperaturen tiefer als sonstwo. So hängen feine Nebelschwaden in der Luft, wir sehen ein Nebelmeer, tauchen darin ein und kommen am nächsten Hügelzug wieder heraus in den ersten Sonnenschein. Was für ein Schauspiel!
Wir haben eine halbe Stunde Aufstieg hinter uns, und schon sind wir, ja klar, vor einer weiteren Besenbeiz, La Buvette La Grande Sagneule auf 1320 müM. Sie hat geöffnet von Mai bis Oktober, im Winter läuft nichts. Esel, Hunde, Katzen und Konsorten leisten uns Gesellschaft, und endlich wird Felix auch seinen Slibowitz los.
Nun führt uns der Weg dem Grat entlang, die Seite Richtung La Chaux-De-Fonds senkrecht, die Seite Richtung Neuenburgersee sanfter abfallend, buchstäblich über Stock und Stein, alles in allem schon kein Spaziergang mehr.
Das Mittagessen leisten wir uns im Restaurant “Tête de Ran“, wenn es dann endlich nach einer Stunde Wartezeit serviert wird. Die anschliessende Höhenvernichtung von fast 450 m in 45 Minuten fährt kräftig in die Beine, so dass die meisten froh sind, das Ende der Marschzeit und damit den Bahnhof von Les Hauts-Geneveys erreicht zu haben. Pendelnd und ruckelnd transportiert uns der ICN von Neuenburg nach Zürich, ruhig und fein die S-Bahn von Zürich nach Wallisellen. Ich danke dir herzlich, Ruedi, dass du uns eine so schöne Wanderung ermöglicht hast.
Jürg Deller